Die letzte Generation der Pflichtarbeit

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Oliver Hoffmann über die Zukunft der Arbeit im Zeitalter der KI

Viele fürchten, dass Künstliche Intelligenz massenhaft Jobs kosten wird. Tatsächlich erleben wir bereits, wie Tätigkeiten, die lange als kreativ oder wissensbasiert galten, sich grundlegend verändern oder ganz verschwinden. Die Geschwindigkeit dieser technologischen Revolution überrascht – und sie ist wohl erst der Anfang tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen.

Herr Prof. Hoffmann, wie real ist die Gefahr einer KI-bedingten Massenarbeitslosigkeit? Welche Branchen sind besonders betroffen – und wo entstehen neue Möglichkeiten? Wie können wir als Gesellschaft mit dieser Umwälzung umgehen, ohne in Angst zu verfallen oder KI vorschnell zu verteufeln?

Die Gefahr ist real, aber sie wird in den falschen Kategorien gerahmt. Wir erleben weniger eine Krise der Beschäftigung als eine Krise der Bedeutung. Künstliche Intelligenz vernichtet nicht einfach Arbeitsplätze, sie verändert die kulturelle Logik, nach der wir Arbeit überhaupt verstehen. Alles, was sich in Algorithmen übersetzen lässt – Routine, Wiederholung, Vorhersagbarkeit –, wird verschwinden oder radikal entwertet. Doch das ist kein ökonomisches Drama, sondern eine psychologische Entthronung. Wir verlieren nicht den Job, sondern das Selbstbild, gebraucht zu werden. Gleichzeitig entstehen neue Felder, an den Rändern des Maschinellen: dort, wo Unsicherheit, Urteilskraft, Empathie und moralische Verantwortung gefragt sind. KI zwingt uns, menschliche Kompetenz neu zu definieren – nicht als technisches Können, sondern als Bewusstseinsleistung. Betreffen wird dies alle Branchen, wobei natürlich praktische Berufe weit weniger betroffen sein werden.

Wenn Arbeit nicht mehr primär Pflicht ist oder dem Broterwerb dient – was ist sie dann? Was bleibt, wenn Effizienz und Produktivität zunehmend von Maschinen übernommen werden?

Dann wird Arbeit zu einem psychologischen Raum, nicht zu einer ökonomischen Notwendigkeit. Sie wird zur Form der Selbstbeziehung, zur Möglichkeit, das eigene Dasein in Resonanz mit Welt und Sinn zu bringen. Wenn Maschinen den Zwang zur Effizienz übernehmen, bleibt uns die Verantwortung für das, was nicht messbar ist: Beziehung, Haltung, Kreativität, Fürsorge. Arbeit wird damit zur Ausdrucksform von Bewusstsein – weniger Produktion, mehr Reflexion. In dieser Verschiebung liegt die eigentliche Revolution: dass Arbeit nicht länger das Gegenteil von Freiheit ist, sondern ihr Vehikel.

Gab es in der Geschichte der Menschheit jemals eine Phase, in der Arbeit nicht dem Überleben oder der Produktivität diente – sondern als Ausdruck von Sinn und Selbstverwirklichung verstanden wurde? Könnte KI uns heute helfen, genau dorthin zurückzufinden – oder sogar darüber hinauszugehen?

Ja, die antike Vorstellung von Scholé, also der produktiven Musse, deutet eine solche Zeit an. Arbeit war damals nicht bloss Mühe, sondern Teil des Weltverständnisses – Denken, Gestalten, Dasein im Vollzug. Erst die Industrialisierung machte Arbeit zu einem Zwangssystem, zu einem kollektiven Überlebensritual. Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass uns KI nun zu einer Art Rückkehr zwingt: Wir werden von der Pflicht befreit, damit wir uns der Bedeutung widmen können. Aber das ist keine romantische Befreiung, sondern eine Zumutung. Viele Menschen sind psychologisch nicht darauf vorbereitet, Freiheit nicht als Leere, sondern als Aufgabe zu begreifen. KI entbindet uns vom Müssen – aber sie konfrontiert uns mit der Frage, wozu wir überhaupt wollen.

Was passiert mit unserem Selbstbild, wenn wir nicht mehr "gebraucht" werden – sondern frei sind, zu gestalten? Brauchen wir für diese neugewonnene Freiheit ein angepasstes Wertesystem, das den Sinn in der Arbeit neu definiert – und vielleicht sogar die Weltwirtschaft, wie wir sie heute kennen, transformiert?

Unser Selbstbild ist bis heute an Leistung und Nützlichkeit gebunden. Wir definieren uns über das, was wir beitragen, nicht über das, was wir verkörpern. Wenn dieses Narrativ zerfällt, entsteht eine existentielle Leere, die zunächst bedrohlich wirkt. Doch genau hier liegt die Chance: Wir können Arbeit als kulturelles Medium neu denken – nicht mehr als Pflicht gegenüber der Gesellschaft, sondern als schöpferischen Akt gegenüber uns selbst und der Welt. Diese Transformation erfordert eine Verschiebung unserer Wertlogik. Wir werden eine Ökonomie brauchen, die nicht auf Effizienz, sondern auf Bedeutung basiert – eine innere Ökonomie, in der psychologische Ressourcen wie Aufmerksamkeit, Empathie und Imagination die eigentlichen Produktionsfaktoren werden.

Könnte der Mensch damit umgehen, wenn das Gemeinwohl über der Profitlogik stünde? Wie könnte ein solches Zukunftsmodell aussehen?

Das wäre kein moralischer Fortschritt, sondern ein funktionaler. Systeme, die nur Profit generieren, erschöpfen sich. Systeme, die Sinn generieren, regenerieren sich. Insofern ist Gemeinwohl nicht das Gegenteil von Wirtschaft, sondern ihre evolutionäre Weiterentwicklung. Wir könnten uns eine „bedeutungsbasierte“ Ökonomie vorstellen, in der Wertschöpfung nicht aus Ressourcenverbrauch, sondern aus Resonanz entsteht – aus der Fähigkeit, kollektive Intelligenz, Vertrauen und Kreativität zu aktivieren. Der Mensch würde darin nicht zum Ersatz für Maschinen, sondern zum Moderator des Sinns.

Welche Werte könnten in einer KI-gestützten Arbeitswelt dominieren – und welche sollten wir bewusst kultivieren? Könnte sich ein neues Narrativ von Arbeit durchsetzen, das nicht auf Leistung, sondern auf Bedeutung basiert?

In einer Welt, die von Maschinen betrieben wird, wird das Menschliche zum knappen Gut. Integrität, Klarheit, emotionale Differenzierungsfähigkeit – das sind keine weichen Werte, sondern die härtesten Währungen der Zukunft. Wir werden lernen müssen, Qualität nicht an Output, sondern an Bewusstseinszuständen zu messen. Das Narrativ der Zukunft heisst nicht mehr „Ich arbeite, also bin ich“, sondern „Ich verstehe, also gestalte ich.“ Arbeit wird zu einem Erkenntnisprozess – ein Spiegel, in dem wir sehen, was wir geworden sind.

Zum Abschluss: Wie würden Sie Arbeit neu definieren, wenn Sie nicht mehr müssten – sondern frei wären, zu gestalten? Was wäre Ihr persönliches Zukunftsmodell von Arbeit?

Arbeit wäre für mich dann kein Zwang, sondern eine Form der inneren Architektur. Sie würde nicht auf Erwerb, sondern auf Kohärenz zielen – auf die Fähigkeit, Denken, Fühlen und Handeln in eine Richtung zu bringen. Ich würde Arbeit als eine Praxis verstehen, die Welt nicht zu nutzen, sondern zu gestalten. Sie wäre kein Mittel mehr, um etwas zu verdienen, sondern um etwas zu werden. Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe der kommenden Generation: nicht weniger zu arbeiten, sondern bewusster – jenseits der Pflicht, aber mit Verantwortung für Sinn.

Prof. Dr. Dr. Oliver Hoffmann ist Professor für Innovationsmanagement sowie Experte für Sicherheitsmanagement, digitale Transformation und Wirtschaftspsychologie. Er erforscht, wie technologische Umbrüche – insbesondere durch KI – unser Denken, Entscheiden und Arbeiten verändern. Als Berater und Autor begleitet er Organisationen an der Schnittstelle von Technologie, Psychologie und strategischer Resilienz.

Was bedeutet „Scholé“? Scholé stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Musse“ – aber nicht als Leerlauf, sondern als geistige Freiheit. In der Antike galt sie als Zeit für Denken, Lernen und Selbstentfaltung. Arbeit war nicht Zwang, sondern Ausdruck von Sinn. Heute könnte KI uns genau dorthin zurückführen: zu einer Arbeit, die weniger Pflicht ist – und mehr Bewusstsein.

Im Interview

Prof. Dr. Dr. Oliver Hoffmann

Swiss Cyber Security Days
17. - 18. Februar 2026

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